Sonntag, 16. Oktober 2022

Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit von Natasha Pulley

Schicksalhafte Zeitreise – Ein wunderbarer und tiefgründiger Roman

Es ist das Jahr 1898 als Joe Tournier am Bahnhof Gare du Roi in Londres ohne eine einzige Erinnerung aus einer Ohnmacht erwacht. Obwohl im alles dumpf vertraut vorkommt ist doch alles anders. England ist plötzlich Französisch und Joe fühlt sich so verloren, dass ihm schließlich ein Herr zu Hilfe kommt und ihn in eine psychiatrische Klinik bringt. Nach seiner Entlassung führt Joe Tournier sein Leben weiter, das sich irgendwie falsch anfühlt, doch seine Erinnerungen bleiben weiter im Nebel verborgen. Da erreicht ihn eines Tages eine Postkarte mit einem Leuchtturmmotiv. Es ist der kurze Text und die Tatsache, dass die Postkarte vor 90 Jahren an ihn verschickt wurde, die Joe den Boden unter den Füßen wegzieht. Führt in der Leuchtturm in den Äußeren Hybriden womöglich zurück zu seinen Erinnerungen? Tournier macht sich auf den Weg nach Schottland, um den Leuchtturm zu suchen und M. zu finden, die Person, die die Karte vor 90 Jahren auf den Weg gebracht hat…

Es ist nun schon das zweite Mal, dass Natasha Pulley mich mit einem Buch fasziniert, in dem viel von der Geschichte zwischen den Zeilen erzählt wird. In „Der Leuchtturm an der Schwelle der Zeit“ geht es um Krieg, um die großen Schlachten zwischen England und Frankreich, im Detail um die Schlacht bei Trafalgar, die hier anders ausgeht als man das aus den Geschichtsbüchern kennt. Zudem steht die Seefahrerei, das Reisen durch die Zeit und das sich Verlieren und Wiederfinden im Mittelpunkt. Mit all dem verwoben ist da eine schicksalhafte, wehmütige  und leise Liebesgeschichte, die mich sehr berührt hat.

Anders als in „Der Uhrmacher in der Filigree Street“ hat mich Natasha Pulley hier von Anfang an abgeholt, wie eine Sog zieht mich die Geschichte an und sie spuckt mich erst nach der letzten Seite wieder aus. Zusammen mit Joe Tournier begebe ich mich auf die Suche nach seinen Erinnerungen und natürlich nach M., denn mindestens genauso brennend wie Joe möchte ich diese Person finden und wissen, wer hinter diesem Namenskürzel steht und welche Verbindung sie zu Joe hat. Bald schon bin ich nicht mehr nur Leserin, sondern bin irgendwie in Gedanken ein Teil dieser Geschichte, erlebe den Krieg, die Explosionen des Kanonenfeuers, Schreie, Tod, Verzweiflung, das Leid der Menschen erlebe ich beinahe hautnah. Ich reise und springe durch unterschiedliche Zeiten und bald wird klar, dass Joe mit jedem Schritt in die Vergangenheit, mit jeder Handlung und jedem Wort auch seine Zukunft maßgeblich beeinflusst.

"In Ihre Zeit geht es zwischen den Säulen hindurch."

Pulley erzählt ruhig aber sehr atmosphärisch und real. So überzeugend, dass ich fast sicher bin, dass es diese Säulen, das Tor zwischen den Zeiten, nahe der Insel Eilean Mor mit dem Leuchtturm, tatsächlich gibt. Der Leuchtturm, der mir so vertraut ist, weil ich ihn aus dem wunderbaren Buch „Die Leuchtturmwärter“ von Emma Stonex kenne. Auf Eilean Mor verschwinden im Jahr 1900 auf mysteriöse Weise drei Leuchtturmwärter, die Umstände sind bis heute unklar. auch Natasha Pulley greift dieses Mysterium  auf und verwebt dieses Ereignis gekonnt in ihre Geschichte.

Ich hätte gerne länger auf Eilean Mor verweilt, weil ich die Stimmung und Atmosphäre dort so besonders fand. Still, in sich gekehrt, wenn auch ein bisschen unheimlich. Dennoch habe ich Joe in dieser Zeit nochmal von einer ganz anderen, intimeren Seite kennengelernt, was mir gut gefallen hat.

Es gibt eine Vielzahl von Figuren in diesem Buch und alle sind Teil vom großen Ganzen. Jede Nebenrolle ist es wert, erzählt zu werden, jedes noch so kleine Detail, jedes Schicksal, jede Charaktereigenschaft ist ein Baustein der Geschichte. Wenn die Nebenfiguren die Adern sind, sind die Hauptprotagonisten der Herzschlag, alles zusammen ein auf sich angewiesenes und eingespieltes System mit viel Tiefgang und Lebendigkeit.

"Komm zurück wenn du dich erinnerst."

Ein wunderbarer, intensiver Roman, der mich mitgenommen, gefesselt und berührt und mich auch lange nach dem Ende nicht losgelassen hat. Ein Buch über das ich noch so viel mehr erzählen könnte. Absolute Leseempfehlung!

Verlag: Klett-Cotta
Erscheinungsdatum: 24.09.2022
Sprache: Deutsch
Ausgabe: Gebundenes Buch
Umfang: 544 Seiten




3 Kommentare:

  1. Schönen guten Morgen!

    Ich freu mich sehr dass es dich auch so begeistern konnte! Ich fand es einfach nur wunderbar und auch wenn ich Handlungen mit Kriegen etc. eigentlich nicht so gerne lese, war das hier so genial in die HAndlung und die Zeitreisen verwoben, dass es mich gar nicht gestört hat. Überhaupt ist der ganze Aufbau so gelungen und der Schreibstil zieht einen komplett in den Bann <3
    Ich hab übrigens auch sofort gedacht: der Leuchtturm kommt mir doch irgendwie bekannt vor und hab mich an die Leuchtturmwärter erinnert :)

    Liebste Grüße, Aleshanee

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  2. Tiefgründige Werke mag ich sehr gerne;)

    LG

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  3. Habe es gestern Abend beendet und fand es sehr schön. Aber der Uhrmacher hat mir tatsächlich bbesser gefallen, auch wenn ich dieses Werrk sehr fesselnd und berührend fand. Zwei Bücher, zwei Treffer, ich hoffe, die Autorin macht weiter so

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