Samstag, 20. Februar 2021

Die Angst der Schweigenden von Nienke Jos

Schweigen, Widerstand, Täuschung – Ungewöhnlicher Thriller der Durchhaltevermögen braucht

Inna ist eine äußerst introvertierte Person, sie spricht kaum, Zahlen und Fakten sind ihre Welt, in ihrem Leben gibt es keine Zufälle, nur eine diffuse Wahrnehmung, eine leise Angst, die sich hin und wieder in ihren Kopf schleicht. So ist neben Tragfähigkeitsannahmen, Berechnungsmodellen und Statistiken auch der eisige Wind der um die abgelegene Fabrikhalle in der sie arbeitet bläst, nur der Vorbote eines gewaltigen Schneesturms, der sie letztlich eine ganze Nacht lang in der Halle gefangen hält. Das alles wäre gar nicht so schlimm, doch Inna ist nicht alleine. Igor ist bei ihr, der wie aus dem Nichts auftaucht, angeblich vom Unwetter überrascht wurde und der Inna plötzlich seltsame Fragen stellt…

Nienke Jos hat mich mit ihrer Thriller-Reihe „Die Einsamkeit der Schuldigen“ total begeistert. Voller Vorfreude habe ich auf ihr neustes Werk gewartet. „Die Angst der Schweigenden“ ist jedoch anders, verwirrender, undurchsichtiger, schwieriger. Wenn man im ersten Drittel Durchhaltevermögen beweist, dann bekommt man einen richtig guten, tiefgründigen Thriller, doch der Weg dorthin ist zugegeben etwas zäh.

Die Story wird aus drei unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Da ist Inna, die mit dem unbekannten Igor in der Fabrikhalle festsitzt und der beginnt, ihr seltsame Fragen zu stellen. Wir haben die 6-jährige Marga, die eines Tages auf einem zugefrorenen See den Weihnachtsmann findet. Er ist verletzt und braucht ihre Hilfe, weil es sonst kein Weihnachten geben kann. Außerdem gibt es Rückblicke in Innas Kindheit. Sie wächst mit ihrem Bruder Jenke und ihrer kleinen Schwester Benke in schwierigen familiären Verhältnissen auf.

Drei Handlungsstränge mit denen ich erstmal wenig anfangen kann. Überhaupt komme ich schwer in die Geschichte, so viele unterschiedliche Figuren, ständig wechselnde Blickwinkel von denen ich lange nicht weiß, wie und ob sie überhaupt zueinanderfinden. Befinden wir uns komplett in der Gegenwart oder spielen alle drei auf unterschiedlichen Zeitebenen? Dazu kommt eine Sprache die sich hölzern und nicht flüssig liest. Ich hadere tatsächlich mit mir, will das Buch abbrechen und doch irgendwie weiterlesen. Nienke Jos kann doch schreiben, mich begeistern und fesseln, das hat sie doch mit ihrem Debüt ganz klar bewiesen. Ich lese also tapfer weiter und dann kommt der Wendepunkt, an dem ich den Thriller nicht mehr aus der Hand legen konnte und endlich Licht ins Dunkel kommt und ich denke: wow, das ist genial!

"Ich glaube eigentlich nicht, dass Du der Weihnachtsmann bist. Bin ich aber. Er zeigte in den Fichtenwald. Ich bin abgestürzt. Mit meinem Schlitten. Irgendwo da hinten.  Ist dein Rentier gestorben, fragt sie. Bist Du deswegen so schlecht drauf?"

Nienke Jos ruft viele Protagonisten auf diese Thriller-Bühne. Jeder hat seine ganz bestimmte Rolle in diesem dramatischen Stück. Doch für mich sind sie alle ganz furchtbar, verirrend und wenig greifbar, alle bis auf die kleine Marga. Ihre Gedanken und Handlungen zu verfolgen war herzerwärmend, ein kluges und mutiges Kind, behütet und voller Vertrauen in die Welt.

Es ist schwer dieses Buch zu beschreiben und seine Eindrücke widerzugeben, ohne zu Spoilern!

„Die Angst der Schweigenden“ ist anders, unbequem und gerade zu Beginn leider sehr zäh. Doch wenn man am Ball bleibt, sich durchkämpft und durchhält, bekommt man einen Psychothriller vom Feinsten, mit tiefen verstörenden Einblicken in Abgründe, die man lieber nicht kennen möchte und die Bilder, die vor meinem geistigen Auge entstehen, sind dramatisch und beängstigend. Leseempfehlung für alle Thrillerfans mit Durchhaltevermögen!


Autorin: Nienke Jos

Erscheinungsdatum: 10.02.2021
Sprache: Deutsch
Ausgabe: Flexibler Einband
Umfang: 309 Seiten

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