Sonntag, 13. November 2022

Zur See von Dörte Hansen

Blickpunkt Inselleben – ein melancholischer und bewegender Roman 

In ungefähr einer Stunde, je nach Wellengang ist man vom Festland mit der Fähre auf der kleinen Nordseeinsel, auf der seit Generationen Familie Sander lebt. Die Vorfahren waren Walfänger, befuhren regelmäßig die unberechenbare See. Heute ist vieles anders, nur noch der Walknochenzaun, der das traditionelle Wohnhaus der Sanders umgibt, ist Zeuge längst vergangener Tage und ist heutzutage beliebtes Fotomotiv der Touristen, die jeden Sommer die Insel belagern. Die Veränderungen, der Wandel einer Inselwelt haben das Leben der Familie Sander geprägt, alle haben sich mit ihrem Alltag arrangiert, doch sind sie auch glücklich?  Dann, im Laufe nur eines Jahres verändert sich das Leben der Familie Sander, erst unterschwellig, kaum spürbar, dann mit voller Wucht…

„Zur See“ ist mein zweiter Roman von Dörte Hansen und wieder einmal begeistert mich ihr wunderbarer, tiefsinniger Erzählstil. Ein Roman voller Melancholie der das Leben einer Inselfamilie beschreibt, wo Wandel, Verletzungen, unausgesprochene Gefühle immer wieder den Alltag durchbrechen und doch ein starkes Heimatgefühl jeden Einzelnen auf besondere Weise prägt. Eine Insel, über der und ihren alteingesessenen Familien noch immer die Geschichten und Erinnerungen einer längst vergangenen Zeit schweben. Aber Dörte Hansen legt auch den Finger in die Wunden unserer heutigen Gesellschaft. Denn neben dem Massentourismus, oder den von der EU festgelegten Fangquoten ist auch der Klimawandel auf der kleinen Nordseeinsel angekommen.

"Woher kommt unsere Liebe zum Meer und die ewige Sehnsucht nach einer Insel?"

Es ist eine fiktive friesische Insel auf die uns Dörte Hansen entführt und doch wird sie vielen Inselbewohnern aus der Seele sprechen, für die das Inselleben Segen und Fluch zugleich ist. Inseldörfer, die oft ohne Tourismus nicht mehr überleben könnten und die dennoch am Touristenstrom schier zu ersticken drohen. Aber auch Abwanderung ist ein großes Thema geworden. Oft zieht es die jungen Leute raus aus dem Inseltrott und rein in die großen, abwechslungsreichen Städte.

Dörte Hansen gewährt tiefen Einblick hinter die Fassade des Sander´schen Familienlebens. Eine Familie, der der Zusammenhalt abhandengekommen ist, wo jeder sein Päckchen zu tragen hat. Da ist Hanne Sander, die den Schein wahren will den es nicht mehr gibt. Ein Ehemann, der nicht mehr zu Hause lebt, sondern einsam in einer Hütte irgendwo auf der Insel. Da ist Eske, die Tochter, die sich regelmäßig aufs Festland flüchtet, aber doch von der Insel nicht loskommt. Oder der Älteste, der immer noch seine Identität sucht, dem Alkohol verfallen ist und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Einzig der Jüngste, Henrik scheint seinen Platz gefunden zu habe, ist Eins mit seinem Leben und der Insel.

Obwohl die Geschichte scheinbar ruhig dahinplätschert und gefühlt nicht viel passiert, die Aussagen zwischen den Zeilen sind laut und eindringlich. Die Autorin erzählt sprachgewaltig und stimmungsvoll - fast schon einen Hauch zu schwermütig – und skizziert ihre Protagonisten mit viel Fingerspitzengefühl und Empathie. 

Ein Roman der bewegt und unter die Haut geht. 

Großartiges Buch, tolles Setting, wundervoll und intensiv geschrieben. Absolute Leseempfehlung!


Buchtitel: Zur See
Autorin: Dörte Hansen

Verlag: Penguin
Erscheinungsdatum: 28.09.2022
Sprache: Deutsch
Ausgabe: Gebundenes Buch
Umfang: 256 Seiten

2 Kommentare:

  1. Liebe Kerstin,
    das Buch habe ich mir auch schon überlegt zuzulegen und deine begeisterte Rezension macht mich nochmal richtig neugierig darauf. Ich mag ruhige, tiefsinnige Geschichten absolut gerne. Und das Setting auf einer Nordseeinsel klingt für mich auch richtig gut.
    Liebe Grüße, Steffi

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