Dankbarkeiten von Delphine de Vigan

Verlorene Wörter und tiefe Dankbarkeit – ein ganz wunderbarer, berührender Roman

Die stets so selbständige und unabhängige Michka kann nicht mehr alleine leben und wird deswegen von ihrer jungen Freundin Marie in einem Seniorenheim untergebracht. Zeit ihres Lebens hat Michka in ihrer Tätigkeit als Journalistin und Korrektorin mit Wörtern gespielt und jongliert, doch jetzt kommen sie ihr abhanden, die Wörter und Buchstaben und sie ersetzt sie mehr und mehr durch ähnlich klingende Worte. Michka fällt es sehr schwer, sich mit dem Verlust der Selbstständigkeit zu arrangieren, oft wird sie von bösen Albträumen geplagt. Doch die alte Dame hat noch einen letzten, tief in ihrem Herzen verankerten Wunsch. Sie möchte zwei Menschen aus ihrer Vergangenheit ihre Dankbarkeit übermitteln, denn ihnen hat sie ihr Leben zu verdanken…

Schon mit ihrem Buch dem aphoristischen Drama „Loyalitäten“, hat mich Delphine de Vigan überzeugt und berührt. Auch mit ihrem neuen Roman „Dankbarkeiten“ ist es der Autorin gelungen, mich mitten ins Herz zu treffen. Ein Buch, das traurig macht, nachdenklich stimmt, aber auch hin und wieder ein leises Lächeln ins Gesicht zaubert.

Delphine de Vigan schafft es, auf knapp 120 Seiten so viel Gefühl, Wärme, Zuneigung und Mitgefühl zu vermitteln, wie es andere Autoren nicht einmal auf 300 Seiten vermögen. Doch die Geschichte birgt auch eine Traurigkeit, der man sich nicht zu entziehen vermag. Keiner weiß, was einem im Alter widerfährt, was man verliert und einbüßt. Wie würde es mir ergehen, wie würde ich mich fühlen, wenn sich auf einmal Worte in Luft auflösen, mir, der gerade Bücher und Lesen so wichtig ist im Leben. Man mag es sich nicht vorstellen und ist dankbar, für das was man hat und auch dafür, dass man nicht in die Zukunft blicken kann. 

„Sie schweigt kurze Zeit. Dann sieht sie mir fest in die Augen. Das kommt nicht wieder in Ordnung oder? Was? All das. All das was fortgeht, was sich einfach und so schnell verflüchtet. Das kommt nicht wieder in Ordnung?“

Die Autorin hat eine unglaubliche und intensive Art zu erzählen. Ich war ganz bei Michka, ihrem Schicksal und die Dinge mit denen sie hadert. Und ebenso wie die alte Dame, deren letzten Weg bis zum Ende ihres Lebens ich Zeile für Zeile begleite, bin ich dankbar für die Menschen, die Michka auf diesem Weg zur Seite stehen. Ihre junge Freundin Marie und der Logopäde Jerome. 

Es sind aber nicht nur die Gedanken an das eigene Altwerden, die Delphine de Vegan mit ihrer ausdrucksstarken Geschichte in mir auslöst. Was bedeutet es „dankbar“ zu sein? Das Wort „Danke“ benutzt man in seinem alltäglichen Leben beinahe jeden Tag. An der Kasse im Supermarkt, als Höflichkeitsfloskel in einer Email oder einem Geschäftsbrief. „Danke für Ihre Mühe“…doch meint man wirklich, was man da so schnell vor sich hin murmelt oder schreibt? 

Und noch etwas ist der Autorin auf Anhieb gelungen. Ich habe die Hauptfigur Michka sofort in mein Herz geschlossen. Diese zarte, bescheidene, nie anklagende alte Dame hat mich sehr berührt, mir feuchte Augen, aber auch so manch liebevolles Lächeln beschert. 

Ein sensibler und warmherziger Roman voll menschlicher Zwischentöne. Ein Buch, dass traurig und nachdenklich stimmt, eine gewisse Melancholie zurücklässt, aber auch zum Lächeln und Schmunzeln verleitet. Eine ganz bezaubernde, lesenswerte Geschichte, die ich jedem ans Herz legen möchte.

Buchtitel: Dankbarkeiten

Autorin: Delphine de Vigan

Verlag: DuMont Buchverlag

Erscheinungsdatum: 10.03.2020

ISBN: 9783832181123

Sprache: Deutsch

Ausgabe: Fester Einband

Umfang: 176 Seiten