Freitag, 22. Januar 2021

Das Verschwinden der Erde von Julia Phillips

Das Schicksal der Frauen am Rande der Welt – Eindrucksvoller und feinfühliger Roman

An der Küste Kamtschatkas verschwinden zwei junge Mädchen. Aljona und Sofija sind Schwestern und ihr Verschwinden wühlt die Bevölkerung auf. Eine Reihe ganz unterschiedlicher Frauen, die sich in einer gespaltenen und männerdominierten Gesellschaft am Rande der Welt durchsetzen müssen, fühlen sich durch den ungelösten Fall rund um die verschwundenen Mädchen besonders betroffen…


„Das Verschwinden der Erde“ ist Julia Phillips erster Roman und stand 2019 auf der Shortlist des renommierten National Book Award. Er erzählt die Geschichte ganz unterschiedlicher Frauen aus einem entlegenen und eindrucksvollen Teil der Welt. Mit ausdrucks- und kraftvoller Sprache beschreibt die Autorin Land und Leute und beleuchtet die Einzelschicksale der Protagonistinnen. Ein Roman vom dem ich anderes erwartet habe, der aber dennoch eindrucksvolle Spuren hinterlässt.

Was sich in der Kurzbeschreibung möglicherweise wie eine Kriminalgeschichte liest, entpuppt sich eher als Gesellschaftsroman der das Leben und das Schicksal einiger ganz unterschiedlicher Frauen beschreibt. Sie alle verbindet in irgendeiner Weise das Verschwinden der beiden russischen Schwestern. Manchmal ist die Verbindung offensichtlich, manchmal muss man suchen und manchmal findet man den Zusammenhang erst in der Geschichte der nächsten Protagonistin. 

"Sie haben die Ausfahrt verpasst, sagt Sofia vom Rücksitz aus. Ich will euch erst mit zu mir nach Hause nehmen, erklärte der Mann. Ich brauche noch ein bisschen Hilfe."

Ich hatte mir eine Kriminalgeschichte erhofft und war erstmal enttäuscht, dass die Story etwas ganz anderes erzählt. Dann habe ich versucht, mich darauf einzulassen, was mir ganz gut gelungen ist.

Julia Phillips bedient sich einer ganzen Reihe unterschiedlicher Charaktere und Frauentypen. Da ist z.B. Alla, eine Indigene, die indigenes Tanzen lehrt und die selbst vor einiger Zeit ihre Tochter verlor. Und die junge Frau aus der Uni, die mit Argusaugen von ihrem Freund überwacht wird und die nur einmal aus ihrem strikten Lebensrhythmus ausbricht. Einige der Frauen lieben ihre Heimat, andere wollen einfach nur weg aus der Eintönigkeit und Einsamkeit Kamtschatkas. Es sind teils berührende und aufwühlende Geschichten die mich beschäftigen und nachwirken, aber es sind auch solche dabei, die mich überhaupt nicht erreichen, mich nicht berühren.

Man muss beim Lesen dranbleiben, denn die Geschichten und Zusammenhänge sind komplex und teilweise verwirrend. Manche Erzählungen und Beschreibungen ziehen sich in die Länge und man muss aufpassen, dass man nicht abdriftet und die Sätze nur überfliegt. 

Phillips schreibt mit schöner, ausdrucksvoller Sprache, erzählt feinfühlig und atmosphärisch. Bildlich sehe ich die graue Perspektivlosigkeit der Stadt Petropawlowsk, aber auch die raue Schönheit der Tundra und den schneebedeckten Vulkanbergen. 

"Goldener Herbst, nannte ihr Mutter diese Jahreszeit, kurz und schön wie ein Gemälde. Alle Bäume in Flammen. Und die Luft noch immer verlockend. Sommerlicher, als sie den ganzen Sommer über gewesen war. Auf dem Korjakski-Vulkan am Horizont lag bereits der erste Schnee."

„Das Verschwinden der Erde“ punktet durch die ausdrucksstarke Sprache, die ganz unterschiedlichen Frauenschicksale und die fein gezeichneten Charaktere. Die Tatsache, dass es sich hier nicht um eine Kriminalgeschichte handelt, musste ich erstmal verdauen, die immer wieder auftretenden Längen werden nur teilweise wett gemacht durch die bildhaften Landschaftsbeschreibungen. Gibt man der Story eine Chance, liest man einen eindrucksvollen und feinfühligen Roman mit einigen Schwächen.


Erscheinungsdatum: 22.01.2021
Sprache: Deutsch
Ausgabe: E-Buch Text
Umfang: 312 Seiten

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