Freitag, 25. Februar 2022

Creep von Philipp Winkler

Sie beobachten Dich – ein ungewöhnlicher, unbequemer aber beeindruckender Roman

Fanni lebt in Deutschland und Junya in Japan. Beide überschreiten sie Grenzen, die für sie schon längst nicht mehr gelten.

Fanni arbeitet bei einer Sicherheitsfirma, die Kamera- und Alarmsysteme verkauft. Ihr Leben findet im Wohnzimmer einer fremden Familie statt, die Fanni so oft es geht durch deren Sicherheitskamera beobachtet.  Auch Junyas Leben findet fast ausschließlich online und im Darknet statt. Seine Angststörung fesselt ihn an sein Zimmer, dass er nur selten verlässt, vor allem nachts, wenn er seinem dunklen Geheimnis nachgeht…


Philipp Winkler hat mich seinerzeit schon mit seinem Debütroman „Hool“ sehr beeindruckt und begeistert. Sein neuer Roman „Creep“ erzählt die Geschichte zweier Menschen, die, selbst sozial isoliert, im Leben anderer Menschen das suchen, was ihnen fehlt. Wärme, Nähe und Zugehörigkeit. Sie beide überschreiten Grenzen, die ihnen längst nicht mehr bewusst sind. Traurig, gefährlich, schockierend.

Sie kennen uns, denn sie beobachten uns. Und wir lassen sie in unser Zuhause, teilen online unsere intimsten Gedanken und Bilder.  

Der Einstieg in die Story war schwierig. Winkler gendert konsequent. Außerdem wirft er mit Fachausdrücken aus dem IT- und Gamer-Bereich um sich und auch wenn es um die Geschichte von Junya geht, fallen viele japanische Ausdrücke. Schwer hier den Lesefluss zu behalten, ich war frustriert und hatte eigentlich schon gar keine Lust mehr weiterzulesen.

Doch das Dranbleiben lohnt sich, irgendwann überlese ich die Begriffe und die Geschichten von Fanni und Junya packt mich, lassen mich nicht mehr los, erschüttern mich und machen mich betroffen.

Fanni führt ein unauffälliges Leben, sie arbeitet bei BELL, einer Sicherheitsfirma für Kamera- und Sicherheitssysteme. Fanni hat kein soziales Umfeld, das Verhältnis zu ihren Eltern ist schwierig und distanziert. Essen nimmt sie in Form von Astronautennahrung zu sich. Ihre Zeit verbringt Fanni mit den Naumanns, BELL-Kunden und quasi eine Art Ersatzfamilie, an deren Leben Fanni täglich durch das Auge der Kamera teilnimmt.

Auch Junya ist sozial isoliert und leidet zudem an einer ausgeprägten Angststörung. Sein Zimmer verlässt er selten und führt sein Leben ausschließlich im Darknet. Kontakt zur Außenwelt hat er nur über seine Mutter, die im Wäsche und Essen vor die Tür stellt und über einen Mann aus der Nachbarschaft, der sich hin und wieder seiner annimmt. Doch Junya hat ein dunkles Geheimnis. Denn manchmal verlässt er sein schützendes Umfeld und streift durch das nächtliche Tokio, immer auf der Suche nach einem Opfer. Seine Taten filmt Junya und stellt die Videos in Darknet, wo er als „Star“ gefeiert und bewundert wird.

Die Geschichten von Fanni und Junya werden in zwei Handlungssträngen und abwechselnd erzählt. Seite um Seite sucht und wartet man auf die Verbindung zwischen den beiden Protagonisten, die es irgendwann auch gibt, für mich aber leider unvollendet ins Leere läuft. Es gibt aber interessante und überraschende Wendungen und ein wirklich gelungenes Finale.

Philipp Winklers Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig und manchmal unbequem, seine Figuren jedoch sind extravagant und gut gezeichnet und womöglich leider gar nicht so ungewöhnlich wie man vielleicht glauben mag.

Ein Roman der aufgrund seiner Ungewöhnlichkeit polarisiert, der mich aber, trotz Startschwierigkeiten und einiger Schwachstellen, wirklich packen, überraschen und begeistern konnte. Winkler greift hier ein Thema auf, dass bestürzt und erschüttert, aber vermutlich den Geist der Zeit mehr trifft, als wir erahnen. Leseempfehlung!


Buchtitel: Creep

Verlag: Aufbau
Erscheinungsdatum: 17.01.2022
Sprache: Deutsch
Ausgabe: Fester Einband
Umfang: 342 Seiten

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